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IR Notes 193 – 5 Oktober 2022
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Eine Frage an … Nayla Glaise, Präsidentin von EUROCADRES
Die Europäischen Sozialpartner haben am 4. Oktober die Verhandlungen über eine Europäische Rahmenvereinbarung zur Telearbeit eingeleitet. Worum geht es dabei? Die Europäischen Sozialpartner nannten in ihrem Programm 2022-2024 das Ziel, bis Juni 2023 eine Europäische Rahmenvereinbarung abzuschließen, die dann in eine Europäische Richtlinie gegossen werden soll. Sobald diese Richtlinie nach einer Frist von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt ist, erhalten die Bestimmungen der Vereinbarung in allen Mitgliedstaaten verbindlichen Charakter. Dies ist seit 1997 das erste Mal, dass die Sozialpartner wieder über eine Richtlinie verhandeln. Das war die Bedingung der Gewerkschaften, um diese Verhandlungen einzuleiten. Denn es ist das einzige Mittel, um eine vollständige Abdeckung aller europäischen Beschäftigten zu gewährleisten. Was den Inhalt betrifft, so fangen wir nicht bei Null an. Grundlage ist die 2002 geschlossene europäische Vereinbarung über Telearbeit, deren Inhalt nach wie vor aktuell ist: Überwachung der Beschäftigten, Schutz personenbezogener Daten, Schulungen, freiwillige Entscheidung für Telearbeit, Übernahme der Kosten für die Ausrüstung durch den Arbeitgeber etc. Alle diese Punkte sind bereits in der Vereinbarung enthalten, und es ist wichtig, diese Errungenschaften zu bewahren. Die Bestimmungen der bestehenden Vereinbarung sind ein guter Ausgangspunkt, aber wir müssen sie weiter verbessern, um den europäischen Beschäftigten einen wirklichen Schutz zu bieten. Laut Arbeitsprogramm soll darüber hinaus auch das Recht auf Nichterreichbarkeit verhandelt werden - ein wichtiges Thema der Verhandlungen. Wie aus einer Studie von Eurofound hervorgeht, die beim Auftaktseminar am 28. September vorgestellt wurde, gibt es in mehreren Ländern Rechtsvorschriften dazu, aber noch längst nicht in allen. Die künftige Vereinbarung dürfte also die Arbeitnehmerrechte in diesem Punkt EU-weit verbessern.
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Agenda
2. und 13. Oktober Prag Informelle Tagung der Minister für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit
19. Oktober Brüssel Dreigliedriger Sozialgipfel
19. und 20. Oktober Brüssel Konferenz über Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2022 - Psychosoziale Risiken an (un)erwarteten Orten: Für ein breiteres Verständnis des Problems (Psychosocial risks in (un)expected places: towards a broader understanding of the issue), ausgerichtet vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI).
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Europäisches Wörterbuch der Arbeitsbeziehungen Wenn Sie die Inhalte von IR Notes vertiefen wollen, stellen wir Ihnen gerne die Links zum Europäischen Wörterbuch der Arbeitsbeziehungen zur Verfügung, das von Eurofound veröffentlicht und regelmäßig von IR Share, dem Herausgeber von IR Notes, aktualisiert wird. Das Wörterbuch ist auf English, doch die Definitionen der Begriffe lassen sich mit Online-Übersetzungstools leicht übersetzen.
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In den Schlagzeilen
Neue nationale Initiativen zur Bekämpfung häuslicher und sexueller Gewalt
Am 23. September kündigte die irische Regierung anlässlich der Verabschiedung eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1158 vom 20. Juni 2019 über die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben an, dass sie den Entwurf abändern und einen bezahlten Urlaub für Opfer häuslicher Gewalt einführen werde. Dies war in einem am selben Tag veröffentlichten Bericht empfohlen worden (Domestic Violence Leave Report and recommendations). Nach Inkrafttreten des Gesetzes haben Personen, die häusliche Gewalt erleben oder davon gefährdet sind, die Möglichkeit, bis zu fünf Tage bezahlten Urlaub pro Jahr zu nehmen. Die Regierung wird Arbeitgeber darin unterstützen, Leitlinien am Arbeitsplatz gegen häusliche Gewalt zu entwickeln und Beschäftigten, die Opfer häuslicher Gewalt sind, besser zu helfen. Die Regierung spricht bereits von der Möglichkeit, in zwei Jahren die Dauer dieses Sonderurlaubs zu verdoppeln (v. Pressemitteilung). Spanien, das 2004 einen ersten gesetzlichen Schutz für Opfer häuslicher Gewalt einführte, hat mit dem Verfassungsergänzungsgesetz 10/2022 vom 6. September 2022 über „die umfassende Garantie der sexuellen Freiheit“ ein neues übergreifendes Gesetz verabschiedet. Es soll Frauen und Kinder schützen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Der Begriff „sexuelle Gewalt“ wird definiert als jede sexuelle Handlung, die nicht im Einvernehmen erfolgt oder die eine freie Entwicklung sexuellen Lebens beeinträchtigt. Dies betrifft alle öffentlichen und privaten Bereiche, einschließlich des digitalen Bereichs. In der Präambel des Gesetzes heißt es: „Die physischen, psychischen und emotionalen Folgen sexueller Gewalt können Frauen und Mädchen, die Machtverhältnissen ausgesetzt sind, die diese Art von Gewalt begünstigen, erheblich beeinträchtigen und sie sogar daran hindern, sich persönlich zu entfalten“. Das Gesetz fordert von den Arbeitgebern die Einführung spezieller Verfahren zur Prävention von sexueller Belästigung, zur Annahme von Beschwerden seitens der Opfer und zur Bekämpfung von Formen digitaler Gewalt. Sie sollen „Maßnahmen einführen, die mit den Arbeitnehmervertretern abzustimmen sind, wie die Erarbeitung und Verbreitung von Leitlinien für bewährte Verfahren, Informationskampagnen, Handlungsprotokolle oder Schulungsmaßnahmen“. Sexuelle Gewalt muss in die Risikobewertung einbezogen werden, und die Unternehmen, die diese Maßnahmen einführen, können das Gütesiegel „Unternehmen für eine Gesellschaft ohne sexuelle Gewalt“ beantragen. Die Opfer erhalten dieselben Rechte wie Opfer geschlechtsbezogener Gewalt, d. h. das Recht auf Verkürzung oder flexible Gestaltung ihrer Arbeitszeit, geografische Mobilität, Wechsel des Arbeitsplatzes oder auch Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses. Arbeitnehmerinnen können den Arbeitsplatz für einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten wechseln und nach Ablauf dieses Zeitraums kündigen. Sie haben Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von zwanzig Tagen Lohn bzw. Gehalt pro Dienstjahr (maximal 12 Monate) und auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Arbeitgeber, die eine Leiharbeitskraft beschäftigen, um ein Opfer zu ersetzen, bekommen 6 Monate lang die Arbeitgeberbeiträge erstattet. Das Gesetz sieht ferner vor, dass Fehlzeiten oder unpünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz aufgrund der physischen oder psychischen Folgen sexueller Gewalt als gerechtfertigt gelten und bezahlt werden. Eine Entlassung aus diesen Gründen wäre also nichtig. Experten zufolge müssten diese Bestimmungen, die sich ausschließlich auf Frauen beziehen, ggf. durch die Rechtsprechung auch auf männliche Opfer von sexueller Gewalt ausgedehnt werden.
> Weiterführende Informationen: zum spanischen Gesetz siehe Artikel von Henar Álvarez Cuesta, Professorin für Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht (Universität von León) und zum Begriff „häusliche Gewalt“ siehe Artikel 3b der Istanbul-Konvention.
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1. European Union
Vorhaben
Schutz von Arbeitnehmern vor Asbest : Durch eine Entschließung des Europäischen Parlaments zum Handeln gedrängt (s. IR Notes 172) stellte die Europäische Kommission am 29. September eine Mitteilung vor mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer asbestfreien Zukunft“ (v. Asbestos) sowie einen Vorschlag für eine Überarbeitung der Richtlinie 2009/148 vom 30. November 2009 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz (s. Pressemitteilung und Fragen und Antworten). Derzeit sind „4,1 bis 7,3 Millionen Arbeitnehmer/innen Asbest ausgesetzt, wovon 97 % im Baugewerbe und 2 % in der Abfallbewirtschaftung arbeiten“. In der überarbeiteten Richtlinie soll der Belastungsgrenzwert am Arbeitsplatz um das Zehnfache gesenkt werden - von 0,1 auf 0,01 Fasern pro cm³. Dieser Grenzwert entspricht dem in Deutschland und Frankreich geltenden Wert. Doch er liegt über den in Dänemark (0,003 f/cm³) und in den Niederlanden (0,002 f/cm³) geltenden Grenzwerten sowie über dem vom Parlament angestrebten Wert von 0,001 f/cm³. In ihrem Bericht vom 1. Februar 2021 erinnert die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) daran, dass Asbestfasern genotoxische Karzinogene sind, und es keinen Schwellenwert gibt, unterhalb dessen die Konzentration von Asbestfasern in der Luft unschädlich ist. Die Kommission kündigte ferner an, 1. die Leitlinien zu aktualisieren, um die Mitgliedstaaten, Auftraggeber und Beschäftigten bei der Umsetzung der überarbeiteten Richtlinie zu unterstützen, und 2. eine Sensibilisierungskampagne zur Beseitigung von Asbest zu starten. Die überarbeitete Richtlinie, deren rasche Annahme von der Kommission befürwortet wird, muss innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden. Der Europäische Gewerkschaftsbund ist der Auffassung, dass „sich die Europäische Kommission auf die Seite der Wirtschaftslobbyisten geschlagen hat“ (s. Pressemitteilung).
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Mindesteinkommen : Die Europäische Kommission hat am 28. September die Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Mindesteinkommensregelungen zu modernisieren, um das Ziel der EU zu erreichen, bis 2030 die Zahl der von Armut oder Ausgrenzung bedrohten Menschen um mindestens 15 Millionen zu verringern (s. Pressemitteilung). In ihrem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates über angemessene Mindestlöhne zur aktiven Eingliederung möchte die Kommission einerseits, dass der Mindestlohn einer Person und nicht einem Haushalt gewährt wird, und andererseits, dass das Verfahren zur Beantragung zugänglich, einfach und mit leicht verständlichen Informationen versehen ist, um das Phänomen der Nichtinanspruchnahme von Leistungen zu verringern.
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Aktuelle soziale Themen
Solo-Selbständige erhalten Zugang zu Tarifverhandlungen : Die Europäische Kommission hat am 29. September Leitlinien zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen verabschiedet (s. Collective bargaining and competition law). In diesen Leitlinien wird dargelegt, unter welchen Voraussetzungen sich bestimmte Solo-Selbständige, die sich in einer mit Arbeitnehmern vergleichbaren Situation befinden, zu Tarifverhandlungen zusammenschließen können, um bessere Arbeitsbedingungen zu erzielen, ohne gegen die EU-Wettbewerbsregeln zu verstoßen. Unter diese Leitlinien fallen Solo-Selbständige, die 1. ihre Dienstleistungen ausschließlich oder überwiegend für ein Unternehmen erbringen; 2. Seite an Seite mit Arbeitnehmern arbeiten oder 3. ihre Dienstleistungen für oder über eine digitale Arbeitsplattform anbieten. Die Kommission erklärt, dass sie die EU-Wettbewerbsregeln nicht gegen Tarifverhandlungen von Solo-Selbständigen in einer schwachen Verhandlungsposition durchsetzen wird (s. Pressemitteilung).
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Rechtsprechung
Abfindungen : Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte (ECSR), eine Einrichtung des Europarats zur Überwachung der Einhaltung der Europäischen Sozialcharta, veröffentlichte am 26. September seine Entscheidung zu den französischen Abfindungstabellen bei ungerechtfertigten Entlassungen (das sogenannte „Barème Macron“). Der ECSR spricht sich einstimmig gegen diese verbindlichen Abfindungstabellen aus, die die Gerichte anwenden müssen. Laut Ausschuss sind „die Obergrenzen […] nicht hoch genug, um den Schaden des Opfers auszugleichen und den Arbeitgeber abzuschrecken“. Ferner „verfügt das Gericht nur über einen engen Spielraum bei der Prüfung der individuellen Umstände ungerechtfertigter Entlassungen.“ Daher kann der tatsächliche Schaden nicht ausgeglichen werden und „der Anspruch auf eine angemessene Entschädigung oder einen anderen zweckmäßigen Ausgleich im Sinne von Art. 24b der Charta ist nicht garantiert“. In einer Entscheidung vom 11. September 2019 (CEDS, 11. September 2019, Beschwerde-Nr. 158/2017) hatte der ECSR bereits die italienischen Rechtsvorschriften zur Höchstgrenze bei Entschädigungen verurteilt.
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Sektoraler sozialer Dialog
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2. Mitgliedstaaten
Belgien
- Umsetzung von Richtlinien : Die Sozialpartner haben im Nationalen Arbeitsrat zwei neue kollektive Arbeitsabkommen abgeschlossen (KAA), mit denen europäische Richtlinien umgesetzt werden: CCT Nr. 161 setzt Richtlinie 2019/1152 vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen um. Das Abkommen legt das Recht von Arbeitnehmern mit mindestens sechs Monaten Betriebszugehörigkeit fest, eine Beschäftigungsform mit besser vorhersehbaren und sichereren Arbeitsbedingungen zu verlangen. CCT Nr. 162 setzt Richtlinie 2019/1158 vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben um und sieht ein Recht auf eine flexible Arbeitszeitgestaltung für Beschäftigte vor, die einen Angehörigen pflegen. Die beiden Arbeitsabkommen treten am 1. Oktober in Kraft (s. Pressemitteilung).
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Frankreich
Institutionelles Mobbing : Das Pariser Berufungsgericht hat am 30. September ein Urteil in der Rechtssache gefällt, in der sich ehemalige Führungskräfte des Konzerns France Télécom (heute Orange) und ehemalige Beschäftigte oder Angehörige von Beschäftigten gegenüberstanden, weil die Unternehmensleitung Druck ausgeübt hatte, um Mitarbeiter dazu zu bewegen, das Unternehmen im Rahmen der Umstrukturierung zu verlassen. Zwei Führungskräfte wurden zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sieht „institutionelles Mobbing“ als erwiesen an. Es stellt fest, dass „Belästigungen mit dem von der Unternehmensleitung vorgegebenen Ziel, den Personalbestand zu reduzieren, ein Klima ständiger Unsicherheit für alle Beschäftigten schufen und einen Dominoeffekt bewirkten, der bei einer Reihe von Beschäftigten zu Depressionen, Suizidversuchen und Suiziden führte“. Sébastien Crozier, Präsident der Gewerkschaft CFE-CGC Orange: „Das ist ein historisches Urteil, das die soziale Gewalt als Führungsmethode verurteilt“ (s. Mitteilung).
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Niederlande
- Arbeitsmarktreform : Die Regierung hat mehrere Maßnahmen im Bereich Beschäftigung vorgestellt, darunter auch eine Erhöhung des Mindestlohns ab 1. Januar 2023 um 10,15 % auf 1.756,20 Euro im Monat (s. Pressemitteilung). Angekündigt wurde ferner ein Gesetzentwurf über die Lohntransparenz, die Beschränkung der Anwendung der Wettbewerbsverbotsklauseln, die die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt behindern, sowie die Förderung unbefristeter Arbeitsverträge (Beschränkung auf drei befristete Verträge mit demselben Arbeitgeber). Die Regierung will den Einsatz von Scheinselbständigen eindämmen und ein Online-Tool zur Pflicht machen, um die Art des Beschäftigungsverhältnisses zu bestimmen. Mutmaßliche Arbeitgeber tragen die Beweislast, dass es sich bei den Beschäftigten um Selbständige handelt.
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Italien
- Telearbeit : Gesetz Nr. 142 vom 21. September 2022 greift die Regelung auf, die in Art. 25 bis der Gesetzesverordnung Nr. 115/2022 vom 9. August 2022 eingeführt wurde und das vereinfachte Dringlichkeitsverfahren zur Nutzung telematischer Kommunikation bei der Telearbeit (smart working) für die Beschäftigten im Privatsektor bis 31. Dezember 2022 verlängert, ohne dass der Übergang zur Telearbeit in einer individuellen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer festgehalten werden muss (s. Pressemitteilung).
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3. Drittstaaten
Vereinigtes Königreich
Neuer Abbau von Arbeitsrechten : Die neue Regierung hat zwei Gesetzesvorhaben vorgestellt, die Konsequenzen für das Arbeitsrecht haben. Im ersten geht es um „beibehaltenes EU-Recht“ (Retained EU Law (Revocation and Reform) Bill). Das zweite ist der „Wachstumsplan“ (Growth Plan 2022), der die Maßnahmen zur Neubelebung der Wettbewerbsfähigkeit des Vereinigten Königreichs erläutert. Nach dem ersten Gesetzesentwurf soll abgeleitetes EU-Recht am 31. Dezember 2023 auslaufen, was die Abschaffung von Gesetzen bedeuten könnte, die europäische Regelungen zur Arbeitszeit, zum Unternehmensübergang („TUPE-Gesetz“), zu befristeten Arbeitsverträgen, Teilzeit- oder Leiharbeitsverträgen umsetzen. Jedes Ministerium ist aufgerufen, eine Liste mit Gesetzen aufzustellen, die gestrichen werden sollen. Das Gesetzesvorhaben schafft auch den Vorrang des Unionsrechts vor dem britischen Recht ab. „Mit diesen Reformen werden die übertriebenen und unnötigen europäischen Verwaltungsformalitäten abgeschafft, die Unternehmen belasten und ihre Leistungsfähigkeit behindern“, so die Regierung. Was den Wachstumsplan betrifft, so sieht er die Einführung einer Mindestversorgung bei Streiks im Transportsektor vor und zum 6. April 2023 die Abschaffung des „Off-payroll“-Gesetzes (Beschäftigung außerhalb der Lohn- und Gehaltsliste, auch IR35), wonach es in den Verantwortungsbereich des Auftraggebers fällt festzulegen, ob jemand, der Dienstleistungen über ein persönliches Dienstleistungsunternehmen (PSC) erbringt, ein Arbeitnehmer (Worker) oder ein Selbstständiger ist. In Zukunft ist der Beschäftigte verpflichtet, seinen Beschäftigungsstatus festzulegen und seine Sozialabgaben zu leisten. Schließlich beabsichtigt die Regierung auch die Einführung eines Gesetzes, um „sicherzustellen, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten konstruktive Lohn- und Gehaltsangebote vorlegen, damit die Beilegung von Arbeitskonflikten erleichtert wird‟.
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4. Unternehmen
Umstrukturierung
Entlassungsverfahren ungültig : Das italienische Gericht in Triest ist der Auffassung, dass das finnische multinationale Unternehmen Wärtsilä ein „gewerkschaftsfeindliches Verhalten“ gezeigt hat, als es die Schließung seines Standorts in Triest ankündigte, ohne ein Anhörungsverfahren der Arbeitnehmervertreter eingeleitet zu haben. Das Gericht hat die Massenentlassungen für nichtig erklärt und das Unternehmen dazu verurteilt, eine Geldstrafe von 150.000 Euro wegen Rufschädigung an die drei Gewerkschaften Fim, Fiom und Uilm zu zahlen, die die Entscheidung gerichtlich anfochten (s. Pressemitteilung von Fiom-Cgil). Laut Arbeitsminister Andrea Orlando gibt dieses Urteil „den Gewerkschaften Recht und zeigt, dass mit der Verschärfung der Vorschriften zum Schutz der Beschäftigten der richtige Weg eingeschlagen wurde, wenn wir es mit Fällen unkontrollierter Standortverlagerungen zu tun haben“ (v. Pressemitteilung).
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Europäische Betriebsräte
EBR bleibt nach Umstrukturierung : Der EBR von Vallourec gab am 22. September seine Stellungnahme zur Ende 2021 angekündigten Umstrukturierung der Firmengruppe ab. Es geht um die Schließung der deutschen Standorte (2.400 Beschäftigten) und die Umstrukturierung der französischen Standorte (250 Stellenstreichungen), darunter die Schließung des Standorts Saint-Saulve, sowie die Umstrukturierung des schottischen Werks. Die EBR-Mitglieder bedauern „eine Strategie für den Ausstieg aus Europa ohne ein klares Projekt“ mit neuer Produktionsverlagerung nach Brasilien. Sie erwarten eine „vorbildliche Begleitung“ der entlassenen Beschäftigten. EBR-Vorsitzender Michel Cardon (CFE-CGC) betont, dass der EBR den Informationsfluss zwischen den Beschäftigten der verschiedenen Standorte ermöglicht hat, insbesondere über den Fortschritt der vor Ort geführten Verhandlungen, die im September abgeschlossen wurden. Nach der Schließung aller deutschen Standorte ist die Zukunft des EBR ungewiss. Aber der Anwendungsbereich der Vereinbarung lautet „Europa“, und der Personalbestand in Frankreich und Schottland erfüllt noch die Bedingungen der in der Leitlinie genannten Schwellenwerte: 1.000 Beschäftigte im Konzern, davon mindestens 150 Beschäftigte in einem zweiten Mitgliedstaat.
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5. Studien und Berichte
Algorithmisches Management: : In einem von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichten Bericht untersucht die Autorin, inwiefern 1. die Beschäftigten Kenntnis von der Nutzung algorithmischer Managementpraktiken an ihrem Arbeitsplatz haben, 2. die Gewerkschaften an Tarifverhandlungen beteiligt sind, die auf algorithmisches Management abzielen, und 3. die Arbeitgeber Maßnahmen umsetzen, um die negativen Auswirkungen dieses Managements abzufedern. Ein Policy Brief des Europäischen Gewerkschaftsinstituts analysiert die Bestimmungen zum algorithmischen Management im Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten. Darin sind neue Rechte für die Nutzung algorithmischen Managements vorgesehen. Das Dokument weist auf Unzulänglichkeiten sowie unklare und schwer auszuübende Rechte hin und schlägt eine Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung dieser Bestimmungen vor, die nach den Wünschen der Europaabgeordneten bekanntlich auf alle Beschäftigten ausgeweitet werden könnten.
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