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IR Notes 168 – 14 Juli 2021
www.irshare.eu |
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Leitartikel Liebe Leserinnen und Leser,
IR Notes geht in die Sommerpause! Die nächste Ausgabe erscheint am 8. September. Doch bis dahin müssen Sie nicht ganz auf Informationen verzichten: Die Website von IR Share wird bis Ende Juli und dann wieder ab Anfang September aktualisiert. Sie können uns auch auf Twitter folgen @IR_Share. Das erste Halbjahr beenden wir mit guten Nachrichten: Trotz der Covid-19-Krise ist unsere Abonnentenzahl leicht gestiegen. Und wir haben nun einen Abonnenten in Asien: Ganz herzlich begrüßen wir das koreanische Forschungsinstitut Korea Labor Institute, das den Newsletter abonniert hat, um die aktuellen sozialen Entwicklungen in Europa zu verfolgen. Wir freuen uns ebenfalls über neue Leserinnen und Leser bei der ILO, ebenso wie bei den EBR-Mitgliedern von Société Générale und Bureau Veritas. Doch um die Unabhängigkeit und die Weiterentwicklung von IR Notes zu garantieren, müssen wir unbedingt weitere neue Abonnenten gewinnen. Dabei setzen wir auch auf Ihre Unterstützung! Bitte sprechen Sie in Ihren Netzwerken über unseren Newsletter und werben Sie bei Kollegen in EBR, Berufsverbänden, Führungsgremien für Arbeitsbeziehungen oder auch Forschungszentren für ein Abonnement. Wenn Sie uns unterstützen möchten, können Sie uns auch gerne direkt ansprechen (frederic.t@irshare.eu).
Im Namen der ganzen Redaktion und unserer nationalen Experten wünsche ich Ihnen allen eine schöne und erholsame Sommerzeit!
Mit herzlichen Grüßen
Frédéric Turlan Direktor von IR Share
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Europäisches Wörterbuch der Arbeitsbeziehungen Wenn Sie die Inhalte von IR Notes vertiefen wollen, stellen wir Ihnen gerne die Links zum Europäischen Wörterbuch der Arbeitsbeziehungen zur Verfügung, das von Eurofound veröffentlicht und regelmäßig von IR Share, dem Herausgeber von IR Notes, aktualisiert wird. Das Wörterbuch ist auf English, doch die Definitionen der Begriffe lassen sich mit Online-Übersetzungstools leicht übersetzen.
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Über uns
IR Notes erscheint alle 14 Tage in mehreren europäischen Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Spaniasch) wird von IR Share und seinem Expertennetzwerk herausgebracht. Dieser Newsletter bietet ein europaweites Monitoring zu Arbeitsrecht, Arbeitsbeziehungen und Beschäftigungspolitik. Er kann für einen Betrag von monatlich 18,00 Euro zzgl. MwSt. auf der IR Share-Website abonniert werden
Das Team: Diese Ausgabe wurde erstellt bei Predrag Bejakovic, Sylvain Nadalet, Pascale Turlan und Frédéric Turlan. Erfahren Sie mehr über das IR Share-Team auf unserer Website.
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In den Schlagzeilen
Automobilindustrie unter Klimadruck
In der Klimafrage steht die Autoindustrie mit dem Rücken zur Wand, und Software-Tricks werden nicht mehr ausreichen, um die Fristen hinauszuschieben. Zumal die Europäische Kommission diese Fristen verkürzt und am 14. Juli ihre Strategie „Fit-for-55“ präsentiert hat (s. Pressemitteilung). Mit mehreren europäischen Legislativvorschlägen setzt sie darin das neue Ziel um, die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 55 % zu senken, statt der bislang vorgegebenen 40 % (s. Merkblatt des Europäischen Parlaments). Zu den Vorschlägen zählt eine Überarbeitung der Verordnung 2019/631 vom 17. April 2019 zur Festsetzung von CO2-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und neue leichte Nutzfahrzeuge. Kurz vor dieser Ankündigung richteten die europäischen Sozialpartner des Automobilsektors zusammen mit NROs am 7. Juli ein Schreiben an EU-Kommissar Frans Timmermans, der für den europäischen Grünen Deal zuständig ist. Darin fordern sie die Kommission auf, „dringend einen Rahmen für einen gerechten Übergang für das Ökosystem der Automobilindustrie und der Mobilität im weiteren Sinne“ vorzulegen, um „die Vorausplanung und Anpassung an den Wandel zu unterstützen“. Die Unterzeichneten kritisieren, dass derzeit ein solcher Rahmen für die betroffenen 16 Millionen Arbeitskräfte fehlt - während für die 8,8 Millionen Beschäftigten in den energieintensiven Branchen und den europäischen Kohleregionen ein Fonds für einen gerechten Übergang eingerichtet wurde. Dieser könne als „Vorbild für einen gerechten Übergang für die Automobilindustrie und das Ökosystem der Mobilität im weiteren Sinne“ dienen. In Frankreich hat die Metallgewerkschaft der CFDT (FGMM-CFDT) zusammen mit einer NRO, der Stiftung Nicolas Hulot, einen Bericht veröffentlicht (Wie kann den Herausforderungen eines gerechten Übergangs begegnet werden?). Darin werden mehrere Szenarien für die französische Autoindustrie auf der Basis einer Untersuchung der Beratungsfirma Syndex entworfen (Elektrifizierung des Automobils und Beschäftigung in Frankreich). Für die Autoren bietet nur ein einziges Szenarium „die Möglichkeit, den sozialen und den ökologischen Herausforderungen gleichzeitig zu begegnen“: Es geht darum, „den Produktionsapparat rund um eine integrierte Motor-Batterie-Fahrzeug-Recycling-Kette“ umzustrukturieren, die „Produktion von Diesel- und Benzinfahrzeugen bis 2030, und von Hybridautos bis 2035 einzustellen“ und den Weg einer „Kreislaufwirtschaft“ einzuschlagen, um einen starken Beitrag zu den Klimaverpflichtungen zu leisten und gleichzeitig das Beschäftigungsvolumen zwischen 2035 und 2050 zu stabilisieren. Bei den anderen Szenarien könnte die Zahl der Beschäftigten um bis zu 70 % einbrechen. Das gemeinsame Vorgehen von Sozialpartnern und NRO markiert einen Wendepunkt und zeigt gleichzeitig auch, wie stark die Arbeitsplätze bedroht sind.
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1. Europäische Union
Aktuelle soziale Themen
Slowenische EU-Ratspräsidentschaft : Slowenien hat von Portugal den EU-Ratsvorsitz übernommen und wird ihn nach sechs Monaten im Januar 2022 an Frankreich übergeben (s. Council of the European Union). Die Rolle des Vorsitzes besteht vor allem darin, die Arbeit der Mitgliedstaaten im Rat zu koordinieren, auch wenn jede Präsidentschaft die Diskussionsthemen am Rande beeinflussen kann. Seinem Arbeitsprogramm zufolge hat Slowenien das Ziel, eine politische Einigung zwischen den 27 Mitgliedstaaten zur vorgeschlagenen Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU herbeizuführen. Des Weiteren will der slowenische Ratsvorsitz mit dem EU-Parlament einen Kompromiss zur Überarbeitung der Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherheitssysteme erzielen, die Diskussionen über den Richtlinienvorschlag zur Lohntransparenz fortführen und sich den Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Arbeitsmärkte widmen. Ziel ist es, Übereinstimmung zu erreichen („Schlussfolgerungen verabschieden“, wie es im Programm heißt) bei der „Förderung von Qualitätsarbeit für die Lebensqualität aller Generationen“ sowie bei den „Auswirkungen von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz auf die Geschlechtergleichstellung auf dem Arbeitsmarkt“. Der Ratsvorsitz wird ferner einen besonderen Augenmerk legen auf die Annäherung der Westbalkanstaaten an die Grundsätze des sozialen Europas, mit Schwerpunkt auf der Beschäftigung von Jugendlichen (s. Website des slowenischen Ratsvorsitzes).
- Arbeitsbedingungen im Luftfahrtsektor: Am 8. Juli erörterten die Europaabgeordneten im Plenum des Europäischen Parlaments die Auswirkungen der Pandemie auf den Luftfahrtsektor, insbesondere auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen. Die Vorsitzende des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten Lucia Duris Nicholsonova (Renew Europe) befürchtet „Kostensenkungen und die Streichung von Arbeitsplätzen“, während die Vorsitzende des Verkehrsausschusses Karima Delli (Grüne/EFA) die Kommission aufforderte, „wirksame Maßnahmen gegen soziales Dumping“ zu treffen. Mehrere Abgeordnete forderten, im Rahmen der Überarbeitung der Verordnung 1008/2008 vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten, die soziale Dimension des Sektors zu entwickeln. Agnes Jongerius (S&D) zeigte sich besorgt über den unlauteren Wettbewerb, der eine Bedrohung für die Sicherheit der Flüge darstelle, und schlug vor, die Zuweisung von Zeitnischen für Starts und Landungen (Slots) von der Einhaltung der sozialen Rechte und guter Arbeitsbedingungen abhängig zu machen.
- Sorgfaltspflicht: Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat die Europäische Kommission aufgefordert, ein Datum für die Vorlage ihres Richtlinienvorschlags zur Sorgfaltspflicht zu nennen. Ursprünglich war dafür der Juni vorgesehen, die Frist wurde nun auf Oktober verschoben. Bei seiner Forderung stützt sich der EGB auf den vom Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) veröffentlichten Globalen Rechtsindex, der eine Zunahme der Gewerkschafts- und Arbeitnehmerrechtsverletzungen weltweit beobachtet (s. Pressemitteilung und Zusammenfassung). Laut diesem Bericht gibt es in drei EU-Ländern systematische Verstöße (Griechenland, Ungarn und Rumänien) und in drei weiteren Mitgliedstaaten regelmäßige Verstöße (Belgien, Bulgarien und Polen).
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Rechtsprechung
Mindestlohn bei Entsendung : Der Gerichtshof hat in einer ungarischen Rechtssache ein Urteil gefällt, bei der es um ein Gütertransportunternehmen geht, das Kraftfahrer in einem Kleinbus nach Frankreich bringt, um dort Kabotage durchzuführen (EuGH, 8. Juli 2021, Rs. C-428/19, Rapudsped). Der Stundenlohn der Fahrer betrug 10,40 Euro, und lag somit über dem geltenden gesetzlichen Mindestlohn in Frankreich (9,76 Euro). Tatsächlich erhielten die Fahrer aber nur 3,24 Euro pro Stunde. Laut Arbeitgeber war die Differenz (6,52 Euro) mit dem Betrag der Tagegelder abgegolten, den die Fahrer erhielten, um die bei der Entsendung entstehenden Kosten abzudecken, und mit der Treibstoffeinsparungszulage, die ihnen je nach erzielten Einsparungen nach freiem Ermessen gezahlt wurde. Der Gerichtshof ist zunächst der Ansicht, dass die ungarischen Fahrer ein ungarisches Gericht wegen Verstoß des ungarischen Unternehmens gegen die französischen Mindestlohnvorschriften anrufen können. In Bezug auf das Tagegeld, das zur Deckung der den Fahrern entstehenden Kosten gezahlt wird, handelt es sich dem Gerichtshof zufolge offensichtlich um eine Entschädigung, die nach der Entsendedauer gestaffelt ist, um die Nachteile im Zusammenhang mit der Entsendung auszugleichen. In diesem Fall kann dieser Betrag zusätzlich zum erhaltenen Lohn berücksichtigt werden, wenn geprüft wird, ob die Höhe des französischen Mindestlohns erreicht wird. Sollte das nationale Gericht entscheiden, dass es sich bei diesem Tagegeld um eine Erstattung von tatsächlich entstandenen Kosten wie Reise‑, Unterbringungs- und Verpflegungskosten handelt, kann es bei der Berechnung des Mindestlohns nicht angesetzt werden. Der Gerichtshof äußerte sich auch zur Kraftstoffeinsparungszulage. Laut Art. 10 der Verordnung Nr. 561/2006 dürfen Transportunternehmen ihren Fahrern keine Zulagen in Abhängigkeit von der zurückgelegten Strecke und/oder der Menge der beförderten Güter leisten, wenn diese Zahlungen „geeignet sind, die Sicherheit im Straßenverkehr zu gefährden und/oder zu Verstößen gegen diese Verordnung ermutigen“. Dem Gericht zufolge verstößt eine solche Zulage „gegen das in dieser Bestimmung aufgestellte Verbot, wenn sie, anstatt nur an die Treibstoffeinsparung anzuknüpfen, eine solche Einsparung in Relation zu der zurückgelegten Strecke und/oder der Menge der beförderten Güter gemäß Modalitäten honorieren würde, die den Kraftfahrer zu Verhaltensweisen verleiten, die geeignet sind, die Sicherheit im Straßenverkehr zu gefährden und/oder Verstöße gegen die Verordnung Nr. 561/2006 zu begehen“.
> Hinweis: Der Gerichtshof wird am 15. Juli in zwei deutschen Rechtssachen ein neues Urteil erlassen, bei denen es um das Tragen des islamischen Kopftuchs geht - zum einen durch eine Heilerziehungspflegerin in einem gemeinnützigen Verein, der Kindertagesstätten betreibt, und zum anderen durch eine Kassiererin in einem Drogeriemarkt. Beide trugen bei ihrer Rückkehr aus der Elternzeit ein islamisches Kopftuch und wurden dafür bestraft. Der Gerichtshof soll den Begriff „mittelbare Diskriminierung“ und die Verknüpfung zwischen dem Recht der Europäischen Union und dem Recht der Mitgliedstaaten betreffend den Schutz der Religionsfreiheit verdeutlichen (EuGH, 15. Juli 2021, verbundene Rs. C‑804/18 und C‑341/19, WABE und Müller Handels GmbH).
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Sektoraler sozialer Dialog
Schienensektor : Die europäischen Sozialpartner des Bahnsektors (CER und ETF) erreichten am 30. Juni eine vorläufige Vereinbarung zur Förderung von Frauen in dieser Branche. Die erste verbindliche Vereinbarung seit 15 Jahren muss noch von den Führungsgremien beider Organisationen abgesegnet werden. Mit der Unterzeichnung wird Ende des Jahres gerechnet. „Diese Vereinbarung soll mehr Frauen für den Schienensektor gewinnen, ihnen mehr Schutz bieten und gleiche Behandlung am Arbeitsplatz garantieren (siehe Pressemitteilung).
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2. Mitgliedstaaten
Kroatien
- Tarifvertrag mit CRBC: : Die Gewerkschaft der Bauindustrie (SGH) unterzeichnete am 5. Juli einen neuen Tarifvertrag mit dem wichtigsten Bauunternehmen der Pelješac-Brücke, der China Road and Bridge Corporation (CRBC). Der neue Vertrag regelt insbesondere die Einzelheiten zu den Arbeitszeiten der am Brückenbau beschäftigten Arbeitskräfte.
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Frankreich
- Tarifverhandlungen während der Covid-19-Krise : Gemäß dem am 5. Juli veröffentlichten Jahresbericht über Tarifverhandlungen im Jahr 2020 blieb die Entwicklung der Tarifverhandlungen auch während der Pandemie dynamisch. Die Branchenabkommen liegen knapp unter der 1000er-Marke. Auch wenn 2020 weniger Betriebsvereinbarungen geschlossen wurden als noch 2019, so liegt die Zahl doch über der von 2018, was zeigt, dass die allgemeine Tendenz nach wie vor steigend ist. Laut Arbeitsministerium hat „der soziale Dialog eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Krise gespielt“ (v. Mitteilung, Pressemappe et Bericht).
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Italien
Strafe für missbräuchliche Nutzung von Algorithmen :
Die unabhängige Datenschutzbehörde (Garante per la protezione dei dati personali) hat gegen Foodinho, eine Lieferplattform der spanischen Gruppe Glovo, eine Strafe von 2,6 Mio. Euro verhängt, weil sie Algorithmen einsetzte, die zu Diskriminierungen führten. Es handelt sich um die erste Entscheidung in dieser Sache durch die italienische Behörde, die im Rahmen der europäischen Verordnung DSGVO gemeinsam mit der spanischen Behörde AEPD eine Untersuchung durchgeführt hat. Die italienische Behörde betont, dass das Unternehmen seine 19.000 Fahrer nicht angemessen über die Funktionsweise der Algorithmen unterrichtet und keine angemessenen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat, um die Genauigkeit und Fairness der Ergebnisse zu gewährleisten, die zur Bewertung der Fahrerleistungen verwendet wurden. Das Unternehmen hatte ferner keine Verfahren eingerichtet, um das Recht durchzusetzen, menschliches Eingreifen zu verlangen, einen Standpunkt zu vertreten oder mithilfe dieser Algorithmen getroffene Entscheidungen anzufechten - was in manchen Fällen zum Ausschluss von Fahrern von der Plattform geführt hat (s. Pressemitteilung).
- Kündigungsverbot wird schrittweise aufgehoben: Die Regierung setzt dem während der Pandemie geltenden Kündigungsverbot nach und nach ein Ende. Die Aufhebung des Verbots erfolgt abhängig vom „sozialen Puffer“ zur Abfederung der Kurzarbeit durch die Kasse für Lohnersatzleistungen (Cassa integrazione). In der Industrie und im Bauwesen, die die gesetzlichen Regelungen nutzen, wurde das Verbot von betriebsbedingten Entlassungen ab dem 1. Juli aufgehoben. Am 31. Oktober entfällt das Verbot für den Dienstleistungssektor und für Kleinunternehmen, die entweder alternative Mechanismen („Solidaritätsfonds“) oder staatliche Zuschüsse in Anspruch nehmen können. Die Regierung hat vor Ablauf der Frist am 30. Juni die Ausnahmeregelung auf die Textilbranche ausgeweitet, die aufgrund ihrer Schwierigkeiten noch bis zum 31. Oktober Kurzarbeit straffrei einsetzen kann. Im verarbeitenden Gewerbe, in dem inzwischen wieder Entlassungen vorgenommen werden dürfen, können Unternehmen, die bereits die Anzahl der von der Cassa Integrazione abgedeckten Monate in Anspruch genommen haben, noch weitere 13 Wochen kurzarbeiten.
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3. Drittländer
Island
Vier-Tage-Woche : Am 4. Juli wurde ein Bericht zur Auswertung des 4-Tage-Woche-Experiments veröffentlicht, das von der Regierung und der Stadt Reykjavik zwischen 2015 und 2019 durchgeführt wurde. Die Wochenarbeitszeit wurde auf 35-36 Stunden reduziert, das Gehalt blieb aber gleich. Laut Bericht, der sich auf 2.500 Beschäftigte bezieht, d. h. mehr als 1 % der arbeitenden Bevölkerung des Landes, blieben Produktivität und erbrachte Leistungen an den meisten Arbeitsplätzen, die an dem Experiment teilnahmen, gleich oder verbesserten sich sogar. Das Wohlbefinden der Beschäftigten steigerte sich erheblich, wie eine Reihe von Indikatoren belegte, von empfundenem Stress und Erschöpfungszustand bis hin zur Gesundheit und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
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4. Unternehmen
Europäische Betriebsräte
Ablehnende Stellungnahme zur Umstrukturierung : Einstimmig abgelehnt hat der EBR des Energiekonzerns Engie am 23. Juni in seiner Stellungnahme die geplante Umstrukturierung des Konzerns und die Gründung der „Bright“-Holding, von der weltweit 75.000 Beschäftigte (davon 80 % in Europa) betroffen wären. In dieser Holdinggesellschaft, so der EBR, würden „die meisten Tochtergesellschaften mit Mehrfachdienstleistungen konsolidiert, die dann auf einen bislang noch unbekannten Käufer übertragen werden“. Für den EBR handelt es sich bei dieser Transaktion eher um ein finanzielles als um ein industrielles Vorhaben, und er ist der Auffassung, dass „Bright“ in der Engie-Gruppe verbleiben könnte. Sollte die Unternehmensleitung jedoch das Ziel verfolgen, Bright zu verkaufen, strebt der EBR den Abschluss einer „Dreiervereinbarung zwischen den Sozialpartnern, Bright und dem künftigen Käufer vor Abschluss des Verkaufsprozesses“ an, um die sozialen Verpflichtungen des Käufers festzuschreiben und „eine sozial verantwortliche Investition“ zu gewährleisten.
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Ausschluss britischer Vertreter : Der EBR der Bank HSBC rief die britische Schlichtungsstelle für Streitigkeiten im kollektiven Arbeitsrecht, das Central Arbitration Committee (CAC), an, um mehrere Entscheidungen der Unternehmensleitung im Zusammenhang mit dem Brexit anzufechten. Die Unternehmensleitung hatte dem EBR folgende Mitteilungen gemacht: 1. Änderung bei der Vertretung der Unternehmensleitung, die ab 1. Januar 2021 von einer irischen Person übernommen werde. 2. Änderung des für die EBR-Gründungsvereinbarung geltenden Rechts – anstelle des bisherigen englischen gelte fortan irisches Recht. 3. Alle Standorte innerhalb des Vereinigten Königreichs seien nicht mehr von der Vereinbarung abgedeckt. 4. Die Vertreter der britischen Arbeitskräfte im EBR, d. h. 8 von 20 EBR-Mitgliedern, seien ausgeschlossen. Die EBR-Gründungsvereinbarung verweist auf die Länder des Europäischen Wirtschaftsraums, was die von der Vereinbarung abgedeckten Vorgänge betrifft, als auch die Ernennung von Mitgliedern. In ihrem Beschluss vom 22. Juni hat die Schlichtungsstelle daher erwartungsgemäß die Entscheidung des Arbeitgebers zum Ausschluss der britischen Vertreter mit Ende der Übergangszeit bestätigt, die den endgültige Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU markiert. Dagegen räumte sie dem EBR eine Frist ein, um Klage gegen die Änderung des geltenden Rechts zu erheben.
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5. Studien und Berichte
Zahl der europäischen Rahmenabkommen rückläufig : In einem Artikel, der in der Internationalen Chronik des Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung IRES erschienen ist – das von sechs französischen Gewerkschaften geführt wird -, stellt sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Udo Rehfeldt die Frage, warum die Zahl der internationalen Rahmenvereinbarungen (IRV) stagniert und die der europäischen Rahmenvereinbarungen (ERV) zurückgeht (s. European social dialogue). Anhand von entsprechendem Zahlenmaterial zeichnet er die starke Zunahme der jährlich abgeschlossenen transnationalen Betriebsvereinbarungen in den 2000er-Jahren nach, die 2008 ihren Höhepunkt erreicht, „gefolgt von einer Verlangsamung im folgenden Jahrzehnt“. Für den Autor ist diese Verlangsamung „die Folge einer stagnierenden Zahl der IRV und eines starken Rückgangs bei den jährlich unterzeichneten ERV“. „Dieser Rückgang bei den ERV ist größtenteils eine Auswirkung der Annahme von Beauftragungsverfahren europäischer Gewerkschaftsverbände“. Verfahren, die, wie das von IndustriAll Europe, die Annahme eines Verhandlungsmandats und die Genehmigung des Vereinbarungsentwurfs durch eine Zweidrittelmehrheit der Gewerkschaften in jedem betroffenen Land verlangen. Mit Hinweis auf neuere Untersuchungen betont der Autor, dass die Verfahrensvorschriften der Globalen Gewerkschaftsföderation IndustriAll Global Union „weniger streng“ sind und von Unternehmensleitungen daher bevorzugt werden. „Zur Aufnahme von Verhandlungen begnügt IndustriAll Global sich mit einer einfachen Unterrichtung ihrer Mitglieder und zur Annahme der Vereinbarung mit der Billigung durch die Hälfte der Gewerkschaftsvertreter der einzelnen betroffenen Länder, die die Hälfte der Beschäftigten vertreten.“ Udo Rehfeld kritisiert den Europäischen Gewerkschaftsbund, der die Europäische Kommission und die ILO auffordern will, aus ihrer gemeinsam geführten Datenbank mit Vereinbarungen dieser Art „alle Vereinbarungen zu entfernen, die von anderen Parteien geschlossen wurden“ als von den europäischen oder internationalen Gewerkschaftsverbänden. „Läuft dies nicht darauf hinaus, das Thermometer zu zerbrechen, anstatt die Ursachen der Krankheit zu erforschen, um diese heilen zu können?“, fragt Udo Rehfeldt.
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