IR Notes 196 – 16 November 2022
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  Eine Frage an …
Christophe Teissier, Projektleiter beim Verband ASTREES

Was halten Sie als Co-Moderator des europäischen Projekts SeColADeal (*) von der in der künftigen KI-Verordnung (s. nebenstehend) vorgesehenen Genehmigung für die Marktzulassung eines KI-Systems – wird sie ausreichen, um die Unbedenklichkeit des KI-Systems bei der Einführung in Unternehmen zu gewährleisten?
Die künftige Verordnung führt „regulatorische Sandkästen“ ein, damit im Vorfeld geprüft wird, ob ein KI-System den Vorschriften entspricht. Das ist ein notwendiger Schritt, der aber bei weitem nicht ausreicht. Wir schlagen vor, in Unternehmen „freiwillige Sandkästen“ einzurichten, als Ergänzung zu den Prüfungen, die vor der Marktzulassung eines Instruments durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um eine Phase, in der die Funktionsweise eines KI-Werkzeugs im Unternehmen getestet wird, um ermitteln zu können, was es konkret macht, worauf es basiert und was es produziert. Auf diese Weise kann sich das Unternehmen einerseits vom Mehrwert des Werkzeugs für seine Organisation überzeugen, denn dieser ist keinesfalls selbstverständlich, wie wir in unseren Arbeiten festgestellt haben. Die Einführung künstlicher Intelligenz ist in Bezug auf die Leistung häufig ein Glücksspiel, und oft scheint sich der Mehrwert nicht einzustellen oder ist nur schwer zu ermitteln. Andererseits kann in dieser Phase auch die Akzeptanz der KI bei den beteiligten Akteuren eingeschätzt werden, vor allem bei den Beschäftigten. Dazu müssen Dialogformen entwickelt werden, die heute in der Praxis noch kaum existieren. Es handelt sich um einen betriebsinternen Technologiedialog, um die Einführung und die Funktion eines KI-Systems in einem gegebenen Umfeld zu steuern. Dieser Technologiedialog bringt eine Vielzahl von Akteuren an einen Tisch: Den Lieferanten der KI-Lösung sowie von Auftraggeberseite die Geschäftsleitung sowie die Leitung der Einkaufs-, IT- und Personalabteilung. Von Arbeitnehmerseite nehmen natürlich die Gewerkschaftsvertreter teil, so vorhanden, oder die Arbeitnehmervertreter sowie die Beschäftigten in ihrer Eigenschaft als Nutzer dieser Technologie.
Beim Technologiedialog geht es zum einen darum, den Kreis der Akteure zu erweitern, um vor der Einführung einer Technologie Gespräche zu führen, zum Beispiel, um ein Lastenheft für den Lieferanten des KI-Systems festzulegen, aber auch, um die Auswirkungen zu betrachten, die man wahrnimmt oder diesem System zuschreibt oder die man lenken will, oder um Formen eines Fachdialogs zu entwickeln, d. h. einen Dialog über die Organisation der Arbeit möglichst nah an der Belegschaft.  Anhand dieses Dialogs sollen sowohl die Auswirkungen der neuen Technologie auf die Arbeitsbedingungen und -modalitäten als auch auf die Kompetenzen und Arbeitsplätze bewertet werden. Wenn wir uns nur auf das klassische Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren verlassen, kommen wir hier nicht weiter und führen keinen Dialog, der den hohen Herausforderungen einer evolutionären Technologie gewachsen ist!


> Weitere Informationen: Träger des Projekts SeCoIADeal ist der französische Gewerkschaftsbund CFE-CGC in Partnerschaft mit dem italienischen Gewerkschaftsverband CIDA, dem französischen Arbeitgeberverband U2P, dem Forschungszentrum IRES und dem Verband ASTREES im Rahmen des Netzwerks Sharers&Workers.

 
  Agenda

 


16.-17. November
Brüssel

European Employment & Social Rights Forum


22. November
Online

Der Europäische Gewerkschaftsverband EGÖD und das Europäische Gewerkschaftsinstitut organisieren eine Webkonferenz über die psychosozialen Risiken für Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich.


30. November
Brüssel

Der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments nimmt den Bericht von Dennis Radtke zur Überarbeitung der EBR-Richtlinie an und ermöglicht damit eine Annahme durch das Plenum im Dezember.


1. Dezember
Noisy-Le-Grand
(und online)
Internationales Seminar des französischen Forschungsinstituts IRES: „Europäische Lobbyarbeit der Gewerkschaften zum Emissionshandel“ (auf Französisch), mit Adrien Thomas, Forscher am LISER, Jean-Marie Pernot, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei IRES und Joël Decaillon, ehemaliger stellvertretender EGB-Sekretär.


30. und 31. Januar 2023
Hamburg
(Teilnahme per Video am ersten Tag möglich)
15. Hamburger Fachtagung für Eurobetriebsräte und SE-Betriebsräte, veranstaltet von der EWC Academy. Am ersten Tag geht es um die Überarbeitung der EBR-Richtlinie und um die mit dem EBR von Engie abgeschlossene Vereinbarung zum Schutz der von Bouygues übernommenen Beschäftigten. Außerdem gibt es einen Beitrag der EBR-Vorsitzenden im französischen Pflegekonzern Orpea, die zweimal entlassen und wieder eingestellt wurde. Programm und Anmeldung, Französisch-Deutsch wird gedolmetscht.

 
  Über uns

 


IR Notes erscheint alle 14 Tage in mehreren europäischen Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch) wird von IR Share und seinem Expertennetzwerk herausgebracht. Dieser Newsletter bietet ein europaweites Monitoring zu Arbeitsrecht, Arbeitsbeziehungen und Beschäftigungspolitik. Er kann für einen Betrag von jährlich 248,00 Euro zzgl. MwSt. auf der IR Share-Website abonniert werden


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  Europäisches Wörterbuch der Arbeitsbeziehungen

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IR Share ist ein unabhängiges und nicht parteigebundenes Privatunternehmen, das alle Akteure des sozialen Dialogs in Europa und darüber hinaus informieren und unterstützen will. IR Share stellt seit 2009 die Frankreich Korrespondenten der Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen.

 

In den Schlagzeilen
Arbeitnehmervertreter stärker in die Nachhaltigkeit von Unternehmen einbezogen

Das Parlament hat am 10. November die Richtlinie hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) angenommen (s. Due diligence). Nach der förmlichen Annahme durch den Rat wird sie im Amtsblatt veröffentlicht. Die erste von der Kommission im April 2021 vorgelegte Fassung (s. IR Notes 163) wurde von den Abgeordneten erheblich erweitert (s. Pressemitteilung des Parlaments). Während es bereits Verpflichtungen zur Offenlegung nichtfinanzieller Informationen für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten gibt, werden die Pflichten mit dieser Richtlinie erweitert, Arbeitnehmervertreter erhalten neue Rechte und gleichzeitig wird der soziale Dialog gestärkt. In einem Nachhaltigkeitsbericht müssen die Unternehmen nun regelmäßig Angaben über ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt machen. Die Richtlinie wird für alle großen Unternehmen gelten, unabhängig davon, ob sie an der Börse notiert sind oder nicht, sowie für nichteuropäische Unternehmen, die in der EU Umsätze von mehr als 150 Mio. Euro erwirtschaften. Börsennotierte KMUs werden ebenfalls davon betroffen sein. Es wird davon ausgegangen, dass somit 50.000 Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen müssen - gegenüber derzeit 11.700. Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, die bereits der jetzigen Richtlinie zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen unterliegen, werden ihren ersten Nachhaltigkeitsbericht 2025 veröffentlichen müssen. Für große Unternehmen, die von der aktuellen Richtlinie nicht betroffen sind, wird das Jahr 2026 angesetzt. KMUs und die anderen Unternehmen müssen ihren ersten Bericht schließlich 2027 veröffentlichen. Diese Berichte sollen es Arbeitnehmervertretern ermöglichen, die Auswirkungen ihres Unternehmens auf die Umwelt und die Gesellschaft sowie dessen Nachhaltigkeitsstrategie zu verstehen. Diese Berichte werden ferner zahlreiche soziale Informationen enthalten, wie Angaben über Beschäftigung, Ausbildung, Arbeitszeit, angemessene Löhne oder auch die Existenz von Betriebsräten. Die Unternehmensleitung sollte daher „die Arbeitnehmervertreter auf geeigneter Ebene informieren und mit ihnen die einschlägigen Informationen und die Mittel zur Einholung und Überprüfung von Nachhaltigkeitsinformationen erörtern“. „Die Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter wird gegebenenfalls den zuständigen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorganen mitgeteilt.“ (Artikel 19). Erwägungsgrund 9 führt aus, dass dies letztendlich auch „Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretern zugutekommt, indem sie angemessen informiert wären und sich so besser in den sozialen Dialog einbringen könnten“.  Die Richtlinie misst den Arbeitnehmervertretern und auch den EBR-Mitgliedern eine wichtige Rolle zu, die auch eine Stellungnahme zum Nachhaltigkeitsbericht abgeben werden. Diese Informationen sollen auch dem sozialen Dialog auf EBR-Ebene dienen, und in Unternehmen, in denen es noch keinen EBR gibt, können Arbeitnehmervertreter sie nutzen, um einen Antrag auf Einrichtung eines EBR zu unterstützen.


> Hinweis: Der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB hat die Annahme der Richtlinie offen begrüßt. Er unterstreicht, dass die europäischen Institutionen die betreffenden Unternehmen erstmalig dazu verpflichten, „die betriebliche Interessenvertretung der Beschäftigten in die Erarbeitung der Nachhaltigkeitsberichte einzubeziehen“.  Für die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi ist es ein „großer Schritt nach vorne“ (s. Pressemitteilung).


1. Europäische Union
Vorhaben

Sorgfaltspflicht : Die Niederländerin Lara Wolters (S&D) stellte am 7. November ihren Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht vor, der am 23. Februar von der Europäischen Kommission angenommen worden war (s. IR Notes 181). Die Unternehmen sollen verpflichtet werden, für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihrer Lieferanten- und Unterlieferantenkette zu haften. Der Text, den der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments überprüfen wird, schlägt niedrigere Schwellenwerte als die der Kommission vor: So soll er für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten gelten (anstelle von 500), die weltweit einen Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. Euro (anstelle von 150 Mio.) erwirtschaften. Er soll ferner Unternehmen betreffen aus Branchen mit erhöhtem Risiko für Menschrechte und Umwelt mit mehr als 50 Beschäftigten (anstelle von 250) und einem weltweiten Nettoumsatz von 8 Mio. Euro und darüber (anstelle von 40 Mio.). Die Liste der Risiko-Branchen ist ebenfalls erweitert worden und enthält neben den drei von der Kommission genannten Sektoren (Textil, Landwirtschaft und Mineraliengewinnung) auch Baugewerbe, Finanzdienstleistungen, Herstellung von Kommunikationstechnologien und Softwarelösungen einschließlich künstlicher Intelligenz. Die Richtlinie soll auch für Unternehmen von Drittstaaten gelten, die in der EU tätig sind. Im Bericht wird neben Umweltschäden und der Verletzung von Menschenrechten auch die Verletzung der „guten Unternehmensführung“ genannt. Zu den Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen müssen, um die negativen Auswirkungen in ihren Wertschöpfungsketten abzustellen oder versuchen abzustellen, zählt jetzt zusätzlich die Anhörung der Interessenträger in allen Phasen. Zu den Interessenträgern gehören nun ausdrücklich auch „die Beschäftigten der Unternehmen und die ihrer Tochterunternehmen“ (und nicht nur die „Angestellten“ der Unternehmen und ihrer Tochterunternehmen) sowie „die Gewerkschaften, die Beschäftigten und deren Vertreter“.



Neuer Kompromiss zur KI-Verordnung : Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft legte am 19. Oktober eine neue Kompromissfassung für den Vorschlag zur KI-Regulierung vor. Die folgenden KI-Systeme sollen demzufolge zur künstlichen Intelligenz mit hohem Risiko gehören: 1. KI zur Einstellung oder Auswahl natürlicher Personen, u. a. Veröffentlichung gezielter Stellenanzeigen, Analyse und Filtern von Bewerbungen und Bewertung von Kandidaten; 2. KI zur Entscheidungsfindung bei Beförderung und Kündigung von arbeitsbezogenen Vertragsbeziehungen, zur Zuteilung von Aufgaben in Abhängigkeit vom Verhalten oder von persönlichen Merkmalen des Einzelnen oder zur Kontrolle oder Bewertung der Leistung und des Verhaltens von Personen im Rahmen dieser Beziehungen. Diese Systeme „können erhebliche Auswirkungen auf die künftigen Berufsaussichten und den Lebensunterhalt dieser Personen haben“ und „können historische Diskriminierungsmuster fortsetzen“ (s. Artificial intelligence).


2. Mitgliedstaaten
Belgien

Gesetz über Beschäftigungsdeal: : Das Gesetz vom 3. Oktober 2022 über verschiedene Arbeitsbestimmungen ist veröffentlicht worden. Es enthält die Maßnahmen, die im Rahmen des Beschäftigungsdeals ergriffen wurden. Danach können Vollzeitbeschäftigte ihre Arbeit in einer Vier-Tage-Woche erledigen oder ihre Arbeitszeit in einem Zyklus von zwei aufeinanderfolgenden Wochen frei gestalten. In diesem Zyklus können sie bis zu 9 Stunden am Tag und 45 Stunden in der Woche arbeiten, solange die Arbeitszeit in der darauffolgenden Woche nur 31 Stunden beträgt, damit im Schnitt die normale wöchentliche Arbeitszeit eingehalten wird. Das Gesetz begünstigt den Onlinehandel, indem es Arbeitgebern erlaubt, Nachtarbeit durch Tarifvertrag (mit Zustimmung von nur einer Gewerkschaft) zwischen 20 Uhr und 24 Uhr sowie ab 5 Uhr einzuführen - oder im Rahmen eines Pilotprojekts von 18 Monaten ihre Beschäftigten dazu aufzufordern, innerhalb der genannten Zeiträume freiwillig Nachtarbeit zu erbringen, ohne dass dazu ein Tarifvertrag oder eine Änderung der Arbeitsvorschriften erforderlich wäre. Des Weiteren sind Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten nach diesem Gesetz verpflichtet, bis 2023 Vereinbarungen über das Recht auf Nichterreichbarkeit abzuschließen (s. Pressemitteilung).


Kroatien

  • Mindestlohn : Am 19. Oktober hat die Regierung den Mindestlohn für 2023 auf 700 Euro brutto monatlich festgelegt (5.274,15 HRK), das sind 560 Euro netto (4.219,32 HRK). Mit diesem Gesetz erreicht der neue Mindestlohn 62,14 % des durchschnittlichen Bruttolohns. Seit 2016 ist der Bruttomindestlohn um mehr als 69 % gestiegen. Von der Erhöhung werden 30.000 Beschäftigte profitieren, die den Mindestlohn erhalten, und 70.000, deren Lohn derzeit unter dem neuen Betrag liegt.

Spanien

Geplante Reform des Kündigungsrechts : Bei einem vom Verband der spanischen Wirtschaftsjournalisten organisierten Treffen hat Arbeitsministerin Yolanda Diaz eine geplante Reform des Kündigungsrechts angekündigt. Dazu gehört eine Neuformulierung der Kündigungsgründe und eine Neuausrichtung hin zu einer „reparativen oder restaurativen Kündigung“, wie sie es formulierte. Es handelt sich darum, die Höhe der Entschädigung nach den Auswirkungen auszurichten, die diese Entlassung auf die jeweilige Person haben. Bei der Berechnung der Entschädigung, die dem sozialen Dialog unterliegt, könnten Faktoren wie Alter, Bildung, Geschlecht oder auch Einkommen und Haushaltsgröße (Familie, Einzelperson) herangezogen werden (s. Pressemitteilung von APIE).


Griechenland

Gewerkschaftliche Repräsentativität : Mit Entscheidung 2175/2022 vom 10. November hat der Staatsrat eine Reform zur Repräsentativität von Gewerkschaften in Frage gestellt. Laut Gesetz 4808/2021 zum Arbeitsschutz und kraft Entscheidung Nr. 62599/26.8.2021 des Arbeitsministers wurde ein allgemeines Register der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberorganisationen (GEMISOE) eingerichtet, damit die gesetzlich anerkannten Gewerkschaften an Tarifverhandlungen im Land teilnehmen können. Der Staatsrat erklärte, dass die kumulative Aussetzung einer Reihe von Gewerkschaftsrechten bei Nichtregistrierung oder Nichtaktualisierung der in dieses Register einzutragenden Daten, die das Gesetz vorsieht, einen offensichtlich unverhältnismäßigen und besonders schweren Eingriff in die Vereinigungsfreiheit darstellt und gegen die Verfassung verstößt. Der Staatsrat hat weiterhin angemerkt, dass dieses Register gegen die allgemeine Datenschutzverordnung verstößt, weil es die Gewerkschaftszugehörigkeit offenlegt. Zu beachten ist auch, dass dieses Gesetz Bestimmungen über die digitale Stimmabgabe von Arbeitnehmern enthält, die von den Gewerkschaften aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit stark kritisiert werden  (s. Pressemitteilung der Gewerkschaft GSEE).



  • Telearbeit aus gesundheitlichen Gründen: Die Regierung hat ein Gesetz veröffentlicht, das es Beschäftigten im Privatsektor erlaubt, ab dem 1. Januar 2023 aus gesundheitlichen Gründen ins Homeoffice zu wechseln. In dem Gesetz sind eine Reihe von Krankheiten oder Behinderungen festgelegt, die einen Wechsel zur Telearbeit erlauben. Voraussetzung ist die Vorlage eines ärztlichen Attests (s. Pressemitteilung).


Irland

Gesetz über Trinkgelder : Die Regierung hat angekündigt, dass am 1. Dezember eine Änderung des Gesetzes über Löhne und Gehälter (Payment of Wages (Amendment) (Tips and Gratuities) Act 2022) in Kraft treten wird. Damit erhalten Beschäftigte das Recht auf Trinkgelder und Zuwendungen, die in elektronischer Form eingehen (s. IR Notes 180). Trinkgelder müssen den Mitarbeitern auf faire Weise ausgezahlt werden, und die Arbeitgeber sind verpflichtet, über die Art und Weise der Berechnung und Auszahlung der Trinkgelder Auskunft zu geben (s. Pressemitteilung). Eine Bestimmung, die von der Gewerkschaft ICTU begrüßt wird (s. Pressemitteilung).


Italien

Arbeitsmarkt : Das nationale Institut für Politikanalyse INAPP hat einen Bericht über die strukturellen Schwächen des Arbeitsmarkts vorgestellt, der „immer noch in der Prekarität gefangen scheint“, wie INAPP betont. Von den 2021 neu geschlossenen Arbeitsverträgen sind sieben von zehn befristet. Der Anteil der unfreiwilligen Teilzeitkräfte liegt bei 11,3 % (gegenüber einem Durchschnitt von 3,2 % im OECD-Raum) und der Anteil der von Armut betroffenen Erwerbstätigen bei nunmehr 10,8 % aller Arbeitskräfte (im Vergleich zu 8,8 % in der EU) (s. Pressemitteilung).


3. Unternehmen
Betriebsvereinbarung

Sicherung eines Produktionsstandorts : Der Betriebsrat des Automobilzulieferers Gestamp Griwe in Haynrode (Deutschland) erhielt am 10. November den Deutschen Betriebsräte-Preis. Ausgezeichnet wurde er für seine Arbeit, das Bestehen und die Zukunft des Standorts zu sichern, der durch Umstrukturierungspläne und die Streichung von 145 Stellen gefährdet war. Das Gremium leitete einen Prozess ein, der durch neue Aufträge, eine jährliche Umsatzsteigerung von 25 Mio. Euro und Investitionen belohnt wurde (s. Projektvorstellung). Für Christiane Benner, zweite Vorsitzende der IG Metall, unterstreicht dieser Fall die Forderung nach mehr Mitbestimmungsrechten der Betriebsräte zur strategischen Ausrichtung der Unternehmen in einem reformierten, zeitgemäßen Betriebsverfassungsgesetz. „Dann könnte endlich den ideenlosen, ewiggleichen Plänen der Arbeitgeber effektiver etwas entgegengesetzt werden“, so Benner (s. Pressemitteilung der IG Metall).



  • Digitalisierung : Die Unternehmensleitung der schwedischen Modekette H&M und die deutsche Gewerkschaft ver.di haben einen Tarifvertrag unterzeichnet, um die 14.300 Beschäftigten des Unternehmens in Deutschland an der digitalen Transformation zu beteiligen. Die Beteiligungsrechte des Gesamtbetriebsrats werden erweitert und ein „Digitalisierungsbeirat“ eingesetzt, der aus Vertretern von ver.di und H&M besteht. Dieser kann eigene Vorschläge sowie Vorschläge der Belegschaft zur Umsetzung der Digitalisierung einbringen. Der Vertrag sieht ferner die Beteiligung von Beschäftigten in Testfilialen vor sowie einen besonderen Kündigungs- und Abgruppierungsschutz von Filialbeschäftigten. Und schließlich sollen Sonderzahlungen in Abhängigkeit von der Umsatzentwicklung gezahlt werden, um den Rückgang der Provisionen auf den Verkauf im Geschäft aufgrund der Entwicklung des Online-Verkaufs auszugleichen (s. Pressemitteilung von ver.di und UNI Europa).

4. Studien und Berichte

Beteiligung an den Vorteilen des Wirtschaftswachstums : Während die Rückkehr der Inflation die Frage nach einer Beteiligung an den Vorteilen des wirtschaftlichen Wachstums wieder in den Mittelpunkt der Diskussionen rückt, veröffentlichte der britische Gewerkschaftsverband TUC am 16. Oktober einen Bericht mit der Forderung nach Unternehmen „die für die Beschäftigten arbeiten“ (Companies for People - How to make business work for workers). Der Bericht zeigt die Entwicklung der Dividenden (+6,3 % jährlich) und Löhne (+1,9 %) zwischen 2008 und 2019 und weist darauf hin, dass der Durchschnittslohn real (nach Berücksichtigung der Inflation) jährlich um 0,3 % gesunken ist, während die Dividenden jährlich um 4 % gestiegen sind. Der Bericht stellt eine Verbindung her zwischen der an Business Schools vermittelten Lehre über Strategien, die sich am Shareholder Value orientieren, und der Zunahme prekärer Beschäftigungsformen, die dazu führen, dass die Beschäftigten die Verlierer sind. Um einen Ausgleich zwischen den Interessen der Aktionäre und denen der Beschäftigten herbeizuführen, unterbreitet der Bericht eine Reihe von Empfehlungen: Zu den Aufgaben von Vorstandsmitgliedern soll es gehören, sich auf den langfristigen Erfolg des Unternehmens zu konzentrieren; ein Drittel der Sitze des Leitungsorgans eines Unternehmens mit mehr als 250 Beschäftigten soll von Arbeitnehmervertretern besetzt sein; Tarifverhandlungen sollen gestärkt werden, um den Zugang von Gewerkschaften zu den Arbeitsplätzen und deren Anerkennungsverfahren zu erleichtern oder auch Empfehlungen, um der Fragmentierung von Arbeitsbeziehungen entgegenzuwirken, indem eine gesamtschuldnerische Haftung für die grundlegenden Arbeitsrechte in britischen Lieferketten eingeführt wird (s. Mitteilung).

 


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